Vom Rahmenbauer zum globalen Marktführer für Radsportbekleidung: Die bemerkenswerte Geschichte von Raymond Vanstraelen und Bioracer

From Frame Builder to Global Leader in Cycling Apparel: The Remarkable Story of Raymond Vanstraelen and Bioracer
Bioracer ist heute ein Name, der in der gesamten Radsportwelt Gewicht hat. 1986 gründete Raymond Vanstraelen das Unternehmen mit einer klaren Mission: Athleten in Bewegung zu vermessen und zu analysieren, um ihre Leistung auf dem Rad zu optimieren. Seither hat sich Bioracer zum europäischen Marktführer für Radsportbekleidung entwickelt – mit einem Jahresumsatz von rund 36 Millionen Euro. Zwar hat Raymond den Staffelstab an unseren heutigen CEO Danny Segers übergeben, doch er ist nach wie vor regelmäßig in unseren Einrichtungen anzutreffen und teilt mit Begeisterung seine Einblicke in unsere Arbeit. Wir haben ihm dazu einige Fragen gestellt.

Wie haben Sie Bioracer ursprünglich gegründet, Raymond?

Raymond: „Ich war selbst Radfahrer bis zu meinem 29. Lebensjahr. Schon damals hat mich alles fasziniert, was nach und nach in den Radsport Einzug hielt: neue Trainingsmethoden, sich entwickelnde Räder und Komponenten sowie leistungsorientierte Bekleidung. Nach meiner aktiven Karriere wurde ich Trainer bei BLOSO. Ich war einer der ersten A-Trainer – und der einzige mit Spezialisierung auf Radsport. Dort gründete ich die erste ‚Radsportschule‘ des Landes und betreute spätere Champions wie Eric Vanderaerden, Guy Nulens, Johan Capiot und René Martens.“

„Damals kamen die meisten Räder aus Italien – man denke an Colnago, Gios Torino oder Guerciotti. Sie bauten Standardrahmen nach dem typischen Körperbau italienischer Fahrer, mit steilen Winkeln. Ein großer Fahrer bekam im Grunde dasselbe Rad, nur mit etwas längeren Rohren. Doch nordeuropäische Fahrer hatten oft eine andere Physiologie und benötigten eine andere Geometrie. Genau deshalb gründete ich 1986 Bioracer: Biomechanics for Racers.“

Wie blicken Sie auf diese Anfangsphase zurück?

Raymond: „Wir haben damit begonnen, Fahrer millimetergenau zu vermessen, um personalisierte Rahmen zu bauen. Unser Lackierer war damals Jochim Aerts – er gründete später seine eigene Radmarke, aus der schließlich Ridley entstand. Unsere Beziehung ist bis heute ausgezeichnet. Aber es ging noch weiter: Ich war auch frustriert über die Rennschuhe jener Zeit. Also entwickelten wir ein neues Design, das die Füße optimal positionierte, um die Kraftübertragung zu verbessern. Eine Zeit lang fuhr die Hälfte des Pelotons mit unseren Schuhen – bis mein Distributor in den Konkurs ging.“

Das war doch der Beginn einer neuen Ära, oder?

Raymond: „Ja, auf zu neuen Optimierungsmöglichkeiten! In dieser Zeit habe ich darüber nachgedacht, wie sich die Radsportbekleidung verbessern ließe. Radtrikots wurden damals hauptsächlich aus Wolle und/oder Baumwolle gefertigt. Nach einem Rennen wogen sie drei Kilo mehr als am Start. Im Skisport hingegen achtete man sehr bewusst darauf, die Kleidung aerodynamischer und schneller zu machen. Also bin ich in die Schweiz gereist, um mit einem Skibekleidungshersteller zusammenzuarbeiten. Dort wurden Kleidungsstücke aus Polyester und Funktionsstoffen produziert.“

„Als der Stofflieferant seinen Betrieb einstellte, überzeugte er mich, selbst mit der Produktion zu beginnen. Das war 1987 oder 1988, glaube ich. Ich arbeitete damals noch bei der RTT, ebenso wie meine Frau, die als Bekleidungsdesignerin ausgebildet war. Damals konnte man erstmals eine Karrierepause einlegen – und bekam die Hälfte des Gehalts weiter, wenn man ein eigenes Unternehmen gründete. So wussten wir, dass zumindest ein Einkommen gesichert war.“

Welche Entscheidungen waren echte Game-Changer?

Raymond: „Wir haben in zwei Maschinen investiert und begonnen, Radtrikots in unserer Garage zu produzieren. In den folgenden Jahren brachten wir zahlreiche Innovationen auf den Markt: nicht nur aerodynamische, atmungsaktive Trikots, sondern auch Regenjacken aus Isofilm – etwas, das es bis dahin noch nicht gab. Da ich Vanderaerden und Nulens kannte, kam deren Panasonic-Teamchef Peter Post vorbei, um Bestellungen aufzugeben. Panasonic war damals das Top-Team – und das hat uns den Durchbruch verschafft. Schon bald kamen alle großen Teams zu uns. Wir haben weiter innoviert: Wir haben Fahrer-Repliken mit Schaufensterpuppen erstellt – die erste war Tony Martin im Jahr 2009. Heute macht das jeder, aber wir tun es seit 15 Jahren. Das verschafft Bioracer einen unglaublichen Vorsprung.“

„Der Erfolg von Bioracer ist ganz klar auf die kontinuierlichen Innovationen zurückzuführen, die wir in die Radsportwelt einbringen. Wir waren die Ersten, die Bekleidung im Windkanal getestet haben. Man denke nur an die Zeitfahranzüge unseres Nationalteams bei den Olympischen Spielen, mit denen Remco Gold und Wout Bronze geholt haben. Es ist bewiesen: Sie hatten die schnellsten Anzüge. Dabei geht es nicht nur um Aerodynamik, sondern auch um gezielte Körperkorrektur an bestimmten Stellen, damit man richtig atmen kann. Und ebenso wichtig: Kühlung! Solch starke Motoren produzieren enorme Hitze – und wie bei einem Verbrennungsmotor im Auto muss diese Energie effizient abgeführt werden.“

Welche Rolle schreiben Sie dem Protolab zu?

Raymond: „In unserem Protolab entwickeln wir Bekleidung und testen ihre Fähigkeit, Kälte abzuwehren und Wärme zu regulieren. Wir analysieren Radfahrer in Bewegung, um sicherzustellen, dass Stoff, Design und Konstruktion eine anatomische Passform mit optimalem Komfort bieten. Wir werten Daten aus dem Windkanal und aus echten Rennen aus, um neue Wege zu finden, dem Wind ein Schnippchen zu schlagen. Genauso viel lernen wir aber auch aus Anstiegen, Matsch, Seitenwind, Kopfsteinpflaster – und jedem einzelnen Meter zwischen Start- und Ziellinie.“

Die Konkurrenz ist hart …

Raymond: „Absolut brutal! Und es werden immer mehr Mitbewerber. Sowohl im Bereich Custom Made – also individuelle Designs auf Anfrage für Radsportvereine – als auch in den Kollektionen, bei denen wir unsere eigenen Entwürfe anbieten. Trotzdem behaupten wir unsere Spitzenposition und verzeichnen sogar leichtes Wachstum. Und das, obwohl sich der gesamte Radsportsektor in einer Krise befindet. Es ist ein täglicher Kampf, die Nummer eins zu bleiben. Zum Glück haben wir ein Team voller Menschen, die für den Radsport und unsere Produkte brennen. Wir entwerfen rund 15.000 neue Designs pro Jahr. Stell dir das mal vor!“

Die Produktion ist nun endgültig aus Belgien abgewandert, Raymond!

Raymond: „Bis 2024 haben wir noch teilweise in Belgien produziert, doch der Lohnnachteil wurde einfach zu groß. Es war nicht mehr verantwortbar, unsere Produkte hier herzustellen. Zudem findet man hier kaum noch Menschen mit einer textilen Ausbildung oder Branchenerfahrung. In den letzten Jahren haben wir selbst hier in Limburg hauptsächlich mit ausländischen Näherinnen gearbeitet – das sagt alles. Lediglich Prototypen – also neue Modelle – werden noch hier gefertigt. Die restliche Produktion haben wir vollständig nach Rumänien, Mazedonien, Tunesien und Kolumbien verlagert.“

Länder mit niedrigeren Löhnen, aber besser ausgebildeten Fachkräften …

Raymond: „Der südamerikanische Markt ist relativ neu, aber von großer Bedeutung: Einerseits, weil die Qualität dort extrem hoch ist – vergleichbar mit Italien –, andererseits, weil es auch einen starken lokalen Absatz gibt. Wir erzielen dort 3 Millionen Umsatz. Unsere Leute erhalten zudem zusätzliche interne Schulungen. Prototypen in unseren internationalen Standorten müssen absolut perfekt umgesetzt werden. Das bedeutet: testen, prüfen, korrigieren – und wieder testen, bis alles buchstäblich und im übertragenen Sinn passt.“

Zum Schluss noch eine persönliche Frage, Raymond. Sie haben ein interessantes Tattoo!

Raymond: „Meine Enkelin wollte, dass ich mir zu meinem 75. Geburtstag ein Tattoo stechen lasse. (lacht) Anfangs habe ich mich ein wenig gesträubt, aber sie hat darauf bestanden. Schließlich habe ich zugestimmt – unter der Bedingung, dass sie sich dasselbe Tattoo stechen lässt. Als ihr Geburtstag kam, ließen wir uns beide das Wort Serendipity verewigen. Man muss im Leben immer nach vorne denken, nie zurück. Ich denke fünf oder zehn Jahre voraus, auch wenn ich in zehn Jahren wohl nicht mehr täglich hier durch die Hallen gehe. Das ist mein Serendipity – die Kunst, etwas Wertvolles zu finden, nach dem man eigentlich gar nicht gesucht hat. Wir haben unsere Innovationspreise nicht umsonst gewonnen. Aber diesen Vorsprung zu halten, ist entscheidend – bei der wachsenden Konkurrenz ein täglicher Kampf.“

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